Mehr als 80.000 Personen stimmten vor etwa einem Jahr in einer Bundespetition gegen die geplante Einführung einer Zwangsrente für Selbstständige, welche das Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter dem euphemistischen Motto „Lebensleistung belohnen“ geplant hatte.
Das aus gutem Grund: So würden heute mehrere tausend Unternehmerinnen und Unternehmer vor der Frage stehen, wovon sie überleben sollen und wie sie investieren sollen, wenn neben Betriebskosten, Steuern, Kranken- und Sozialversicherungen nun auch noch monatliche Pauschalbeiträge in Höhe von 350-400 Euro für die Rentenversicherung und zur sogenannten Absicherung gegen Erwerbsminderung zu leisten wären.
Von derzeit etwa 4,5 Millionen Selbstständigen in Deutschland, wären besonders diejenigen existenzbedroht, die sich in ihrer Gründungszeit und im Lebensalter unter 30 befinden. In Coworking Spaces wäre jede/r Zweite von der Zwangsrente betroffen.
In Folge zeigte sich die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Ursula von der Leyen, allerdings einsichtig und nahm den Dialog mit dem Petenten, Tim Wessels, im Juni vergangenen Jahres auf (Deskmag berichtete), ehe die Petition in der öffentlichen Sitzung des Petitionsausschusses am 15. Oktober 2012 beraten wurde.
Darin wurde nach parlamentarischer Prüfung zusammengefasst, dass bisher nur einzelne Gruppen von Selbstständigen in verschiedenen Alterssicherungssystemen (z.B. berufsständische Versorgungswerke für Ärzte, Apotheker, Anwälte, Architekten) sowie ein bestimmter Personenkreis der selbstständig Tätigen (z.B. Lehrer, Pflegeberufe) gesetztlich zu einer Rentenversicherung verpflichtet sind. Künftig sollen alle Selbstständigen – abgesehen von „bereits anderweitig abgesicherten Künstlern und Publizisten, Landwirten sowie in berufsständischen pflichtverkammerten Selbstständigen“ – zur Alterssicherung verpflichtet werden.
Der Ausschuss empfiehlt die „größtmögliche Freiheit bei der Wahl und Umsetzung“ der Altersvorsorgeverpflichtung, um auf diese Weise letztlich jede Bedrohung der Selbstständigkeit zu verhindern. Zu den Möglichkeiten würden sowohl die gesetzliche Rentenversicherung als auch eine private Vorsorge zählen, solange eine Basissicherung oberhalb der Grundsicherung gewährleistet ist.
Wer heute bereits selbstständig tätig ist, sollte durch großzügige Übergangsregelungen berücksichtigt werden; wie etwa durch Ausnahmen für Selbstständige im rentennahen Alter, heute mindestens 50-jährige sowie selbstständig Nebentätige. Heute mindestens 30-jährigen sollte die Ausgestaltung ihrer bislang selbst vorgenommenen Altersvorsorgemaßnahmen angerechnet werden. Selbstständige in der Gründungsphase sollten hingegen durch die Möglichkeit flexibler Beitragszahlungen und einer befristeten Beitragsfreiheit begünstigt werden.
Im Petitionsausschuss konnte schlussendlich ein kompromissvoller Ansatz zum Gesetzentwurf des Arbeitsministeriums formuliert werden, der sowohl die individuellen Bedürfnisse jeder selbstständig tätigen Person berücksichtigt, als auch ihren Schutz vor einer möglichen Abhängigkeit von Grundsicherungsleistungen im Alter.
Für die Interessengruppe der Selbstständigen ist die ausführliche Auseinandersetzung mit der Rentenversicherungspflicht – ausgelöst durch Tim Wessels Petition – in jeder Hinsicht ein enormer Gewinn. Wenngleich eine gesetzliche Rentenversicherung gewiss viele Vorteile aufweist (wie etwa Ansprüche auf Leistungen zur Rehabilitation, Ansprüche auf Renten wegen Erwerbsminderung und wegen Alters sowie die Absicherung von Hinterbliebenen im Falle des Todes), so darf die Verpflichtung nicht mit Existenzgefährdung oder Blockierung unternehmerischen Willens einhergehen. Nicht zuletzt gehört es zum Wesen selbstständig tätiger Personen, auch Fragen wie die Absicherung für das Alter eigenverantwortlich zu organisieren.
Für sein Engagement wurde Tim Wessels Mitte Mai mit dem, mit 50.000 Euro dotierten, „Werner-Bonhoff-Preis wider den Paragrafen-Dschungel“ ausgezeichnet. In der Begründung heißt es, „er bewahrte vor allem einkommensschwächere Selbstständige damit zunächst vor zusätzlichen bürokratischen Hürden und finanziellen Belastungen“.
Wie Ironie scheint es, dass ausgerechnet die Staatssekretärin des Bundesarbeitsministeriums, Dr. Annette Niederfranke, die Laudatio auf den Petenten ihres Gesetztesvorhabens hält. Doch betont sie in ihrer Rede, wie besonders wichtig der Dialog mit Personen wie Tim Wessels sei, die bei der Beantwortung der entscheidenden Frage mithelfen, wie man den Ausgleich zwischen der gesamten Gesellschaft und den Anliegen einzelner Gruppen schaffe.
Besonders begeistert habe sich Ministerin Von der Leyen darüber geäußert, dass Tim Wessels kein Mensch ist, der aus Prinzip dagegen ist, der sich „auch in die Gegenposition hineinversetzen kann“. Von der Leyen und Niederfranke seien dankbar, dass er ihren „Blick geschärft“ habe.
Doch wie scharf ist ein Blick, der nach wie vor darauf besteht, Selbstständige mit viel bürokratischem Aufwand dazu zu verpflichten, „für ihre eigene Altersvorsorge einzustehen“? Niederfranke verspricht in ihrer Rede „ganz großzügige Übergangsregelungen“ für Selbstständige in der Existensgründungsphase. Sie betont, dass man „niemanden überfordern sollte, niemand möchte, dass jemand der tausend Euro verdient, neunhundert Euro Abgaben zahlt. […] Wir brauchen Flexibilität für schwankende Umsätze. Selbstständige sollen in guten Zeiten mehr vorsorgen können dürfen und in schlechten dagegen weniger“. Soviel zu ihrer Aussicht auf die nächste Legislaturperiode.
Wie genau sich die geplante Rentenversicherung für Selbstständige zukünftig gestalten wird, bleibt bis mindestens zum Beginn der nächsten Legislaturperiode weiterhin offen. Sicher ist dabei nur, dass – selbst wenn das Ministerium nicht mehr von der CDU geführt werde – die anderen Parteien nichts besseres planen, so Tim Wessels in seiner Danksagung. Mit den gewonnenen Erkenntnissen und bekräftigt durch 80.000 Stimmen, kann es mittlerweile jedoch nur fairer werden als bislang geplant.